Sonntag, 27. Juli 2008

Was machen eigentlich die Tiere?

Bei Karl May kann man lesen, dass der Lederdress des West-Mannes nicht nur gegen Kälte, sondern auch gegen Hitze schützt. Ich konnte das schon als Zwölfjähriger nicht glauben. Bei den Tieren ist das aber anders. Denn die Eichhörnchen und Kaninchen, von denen gerade Unmengen von Jungtieren durchs Rosental hoppeln, verdrießt ihr Fell gar nicht, während unsereins am liebsten im wohltemperierten Keller hockt und verwaltet oder bügelt.
Vorgestern stolzierte ein Pfau über die hundertdreißig Jahre alten Steinplatten des Trottoirs der Feuerbachstraße. Im Zoo war die Woche wohl Tag der offenen Tür. Gestern früh ist mir beim Laufen eine Art Reh begegnet, das sicherlich nicht seinen festen Wohnsitz in dem Park hat. Auch der riesige braune Raubvogel, den ich dort manchmal aufscheuche, gehört nicht zum Grundbestand eines Stadtparks, aber von Habichten liest man, dass sie gelegentlich in urbanen Habitaten leben.
Von jenseits der Waldstraße hört man zu allen Tageszeiten Gejaule und Gekläffe, welches aus dem Tierheim kommt. Das ist ein vollkommen trostloser Ort, der mit Bedacht zwischen Straße, Wald und Sportplatz angesiedelt ist, denn daneben könnte kein Mensch wohnen. Die Anlage ist mit verbretterten Fensterlöchern, Zaun und Stacheldraht verbarrikadiert wie ein Gefängnis, hineinschauen kann man nicht, hineingehen anscheinend auch nicht. Jede Kaserne ist einladender. Ich muss in den Ferien mal mit Stella und Clara dorthin gehen, vielleicht nehmen sie dann Abstand von dem langfristig gehegten Wunsch, später mal ein Tierheim aufzumachen.
Gretas Lieblingstier ist im Moment der Pom-Bär, ein geformtes Salzgebäck aus dem Konsum (in Augenhöhe von Dreijährigen positioniert), von dem sie momentan mehrere Tüten am Tag futtert. Und die Eltern, hach, sind glücklich, wenn das dürre Kind überhaupt etwas zu sich nimmt. Wenn Greta durchkommt, wird sie bestimmt die Allermäkeligste der Lenger-Schmal-Frauen werden und das Kochen für die Familie dann erst recht kein Vergnügen mehr sein.
Bei den Großeltern ist das offenbar kein Thema. Stella und Clara haben sich eine weitere Woche in Kiel genehmigt und vermissen ihre Postanschrift überhaupt nicht. Tatsächlich ist es sehr ruhig im Viertel geworden, wesentliche Bestandteile der Nachbarschaft sind im Urlaub. Nie war es so leicht, einen Parkplatz zu finden.

Mittwoch, 23. Juli 2008

Sehr ruhiger Abend

Gretas Blutwerte sind heute verbessert. Ein Heimurlaub zum Wochenende hin ist realistisch. Mit diesem neuerlichen langen Krankenhausaufenthalt haben wir gar nicht gerechnet. Ich komme im Moment von der Arbeit nachhause und bin alleine. Den ersten Tag war das richtig schön. Viel mehr als joggen und sehr früh schlafen gehen fällt mir aber nicht ein. In meinem Lieblingsballerspiel bin ich gerade sensationell mit drei Schiffen ins letzte Level gelangt, dort aber gescheitert.
Ich könnte eine altertumswissenschaftliche Dissertation lesen, die ich besprechen soll, habe aber keine Lust. Tatsache ist, dass ich wieder mehr lese als vor zwei oder vier Jahren. Querbeet, nicht zu anspruchsvoll, nur auf Deutsch. Bin für jeden guten Literaturtipp dankbar. Jetzt ist Sofa-Zeit.

Sonntag, 20. Juli 2008

Wer betreut die Eltern?

Mit dem friedlichen Wochenende zuhause ist es nichts geworden. Gretas Blutwerte waren so schlecht, dass sie sie am Freitag gleich in der Klinik behalten haben. Vielleicht kommt sie morgen heraus, vielleicht auch nicht. Ansonsten haben wir Behandlungsferien bis zum 30.07. Dann findet die Szintigraphie statt, am Tag drauf die zweite Messung, am 01.08. schließlich ein Ganzkörper-MRT, dreimal hintereinander Narkose. Danach werden wir mehr wissen, sowohl über Gretas Prognose als auch über die konkret anstehenden Behandlungsschritte. Uns ist etwas unheimlich zumute. Wir hatten uns so schön eingerichtet in der gut laufenden Chemotherapie. Man tut seine Pflicht als Betreuer und denkt, durch Fleiß kommt man schon irgendwie ans Ziel.
Die intensive Elternbetreuung kranker Kinder in der Klinik ist ein ziemlich neues Phänomen. Vor fünfzig Jahren wurden die Eltern regelrecht verbannt, weil die Kinder sich an die Umgebung gewöhnen und dort parieren sollten. In meiner Kindheit gab es Besuchszeiten von wenigen Stunden pro Tag. Heute werden die Angehörigen aktiv mit einbezogen in die Therapie. Die Frage ist, ob die Kosten für den vergrößerten Raum, der jedem Kind zur Verfügung steht, durch Sparmaßnahmen am Personalbetreuungsschlüssel wieder hereingeholt werden.
Das Konzept „Krankenpflege durch Eltern“ ist so neu, dass die Krankenkassen eigentlich nur für jene Phasen die Haushaltshilfe und Geschwisterkinderbetreuung bezuschussen, in denen der Patient nicht in der Klinik ist. Denn wenn er in der Klinik ist, so die Logik des herkömmlichen Modells, ist er ja voll betreut, und die Eltern können sich zuhause um alles andere kümmern.
Es gibt übrigens auch im Krankenhaus immer noch viele Kinder, die halbe Tage alleine sind und nur gelegentlich von den Schwestern bespaßt werden. Auch solche Kinder werden mitunter gesund. Ob es zum Thema „Abhängigkeit des kinderonkologischen Therapieerfolgs von sozialen Faktoren“ schon Langzeitstudien gibt? Für sachdienliche Hinweise wäre ich dankbar. Inzwischen glauben wir einfach an diese Abhängigkeit und sind weiter fleißig.
Greta ist ziemlich ruhig und isst wenig. Wir haben gestern ein paar neue Spiele ausprobiert. Ich habe Domino gelernt, was gar nicht so banal zu sein scheint. Die ersten 43 Jahre meines Lebens habe ich dieses Spiel immer nur mit reihenweise umfallenden Klötzchen in Zusammenhang gebracht. Stella und Clara geht es hervorragend in Kiel. Es ist sehr ruhig in der Wohnung. Wenn ich Kinder im Hof höre, werde ich etwas wehmütig.
Gestern auf heute war lieber Besuch aus Österreich da, dem wir freilich viel zu wenig gerecht werden konnten. Ich habe heute Vormittag Stadtführer gemacht, meinen Stadtplan vergessen und mich prompt verlaufen. Das Cicerone-Naturtalent war ich noch nie, aber in dieser Stadt bin ich doch auch nach anderthalb Jahren bemerkenswert fremd. Die Gründe dafür sind bekannt. Ich arbeite daran, endlich Nikolai- und Thomas-Kirche auseinander zu halten und das Gewandhaus vom Opernhaus zu unterscheiden. Ansonsten Feuerbachstraße statt Auerbachs Keller.

Freitag, 18. Juli 2008

Lieblingsbeschäftigungen II

Endlich Ferien, das war eine harte Saison!

Greta hoch zu Ross

Achtung Stella! Papa baut die Abseitsfalle auf.


Stella Antonia beim Handstand. Rooney schaut zu.


Clara Carlotta kann es auch. Rooney schaut zu.

Raúl Cristiano Hamilton Lope de Vega Rooney Bravo macht einen Handstand, steht elf Sekunden auf den Vorderhufen und kippt dann hinten über! Leider war Steffi so überrascht, dass sie das Bild verwackelt hat. Zum Glück ist niemandem etwas passiert.






Sonntag, 13. Juli 2008

Ferien

In Sachsen sind Schulferien. Clara erzählt jedem, dass sie nun kein Vorschulkind mehr sei, sondern ein echtes Schulkind. Stellas Zeugnis war mit nur einer Drei so passabel, dass wir uns denken: Wenn die umständebedingte Vernachlässigung aufhört, wird es am Ende für eine Gymnasialempfehlung reichen. Die Schwiegereltern kommen heute Abend hierher und nehmen die Großen am Dienstag für zwei Wochen mit nach Kiel. Stella und Clara freuen sich so unmäßig darauf, dass wir uns schon fragen, ob wir hier überhaupt eine artgerechte Kinderhaltung betreiben.
Greta wird nicht begeistert sein, wenn sie Mittwoch (?) nachhause kommt, und ihre Schwestern sind weg. Dafür hat sie jetzt ein kleines, praktisches DVD-Abspielgerät mit Klapp-Bildschirm, das sie ausgiebig nutzt, im Moment vor allem für „In einem Land vor unserer Zeit“. Der dritte Spielfilm dieser Dinosaurier-Saga zeigt vor allem, dass das Setting der Handlung nur begrenzten Spielraum lässt. Die einfältigen Viecher können eben nicht viel mehr als Fressen, Spielen, Beinahe-in-eine-Schlucht-Fallen und Weglaufen. Verfolgt werden sie immer vom „Scharfzahn“, einem T-Rex-Verschnitt, der laut brüllt, grausam aussieht und niemals Schaden anrichtet. Bei den endlosen Verfolgungsjagden kann es passieren, dass so eine riesige Kampfmaschine minutenlang einem hühnergroßen und hühnerschnellen Baby-Dino hinterherstapft, ohne diesen zu fangen. Am Ende verlaufen die Angreifer sich in einer Schlucht und kriegen Steine auf den Kopf, die die guten Dinos hinunterrollen. Was sollen vier Dino-Kinder auch sonst tun? Wir lernen viel von diesen Filmen: Etwa, dass die Erde „damals“ ganz anders war. Überall Vulkane und Erdbeben, halt irgendwie instabil (das erweitert nämlich den Handlungsspielraum). Die Dinos hätten auch schon verinnerlicht, dass sich dauernd was ändert und dass irgendwann die Säugetiere kommen. Ist ja wahr: Viel länger als 100 Millionen Jahre hat man sie nicht in Ruhe gelassen. Was würden sie wohl zu unserem heutigen Leben sagen? Macht nichts. Für Dreijährige sind die Filme offenbar genau richtig.
Die achte und letzte reguläre Chemo ist morgen zuende, ein langer und schwerer N6-Block, den Greta wieder hervorragend weggesteckt hat. Es ist schon so: Die Kommentare, dass Greta eine äußerst strapazierfähige Patientin sei, gehen deutlich über die Berufshöflichkeit von Schwestern und Ärztinnen hinaus. Wir sehen im Umfeld selbst, wie viele krebskranke Kinder durch vermeintliche Bagatellen in ihrem Heilungsprozess aufgehalten oder zurückgeworfen werden, durch Infektionen aller Art, Unverträglichkeiten von Medikamenten, sonstige unerwartete Komplikationen. Greta hat so ziemlich das härtestmögliche Behandlungsprotokoll und liegt nach acht Monaten kaum sechs Wochen hinter der Ideal-Terminierung des Therapieschemas zurück. Gemessen an den vorbereitenden Gesprächen vom November, als die Ärzte sich zu einem realistischen Zeitplan überhaupt nicht äußern wollten, können wir mit dem bisherigen Verlauf der Behandlung hochzufrieden sein. Dass die Therapie letztlich ausreichend wirkt, ist damit leider nicht gesagt.
Eines der Medikamente geht momentan auf die roten Blutkörperchen und den Sauerstofftransport, die Folge ist ein erhöhter Puls. Es soll Kinder geben, die dadurch müde werden. Ich habe Greta gestern um zehn nach elf verlassen, als sie endlich schlief. Heute sagte die Schwester, das Kind sei um halb zwei wieder aufgewacht und danach nicht mehr eingeschlafen. Immerhin hat sie uns die lange gefühlte Abwesenheit nicht krumm genommen. Sie war heute quietschvergnügt, ja regelrecht aufgedreht. Wenn die Kleine im Moment mit wenig Schlaf auskommt, ist das schön für sie, für den Vater gilt das aber nicht in gleichem Maße.

Unfälle

Infusomaten heißen jene treuen Helferlein, die niemals erwähnt werden, weil sie einfach nur ihren Dienst tun, indem sie die zahllosen Infusionen kontrolliert in den Katheter bringen, von kleinen Motoren angetrieben, elektronisch gesteuert und dadurch zu größter Präzision befähigt. Ganz stumm sind die gut zigarrenschachtelgroßen Teile nicht, im Gegenteil, sie schlagen Alarm, wenn Luft im System ist, wenn die Spritze leer oder ein Durchfluss nicht frei ist, auch dann, wenn sie zu lange vom Strom abgekoppelt sind. Die Laute der Infusomaten begleiten Schwestern, Patienten und Besucher durch den Tag. Wer glaubt, diese elektronischen Pumpen hätten keine Seele, der irrt. Gestern ist nämlich eine vom Tisch gefallen. Die Kreatur hat in einer sonst ganz ungekannten Tonart gebrüllt und war gar nicht mehr zu beruhigen. Durch nichts. Die Schwestern haben davon abgesehen, sie aus dem Fenster zu werfen, und mein Vorschlag, es mit dem Wasserbad zu versuchen, wurde auch verworfen. Schließlich befriedeten sie das Gerät notdürftig im Wäscheschrank unter einem Berg von Betttüchern. Dort schrie der Infusomat noch mehrere Stunden lang, bis seine Akkus leer waren.
Steffi ist gestern von Rooney abgeworfen worden und schleppt sich so dahin. Immerhin dürfen wir aus diesen Aktivitäten schließen, dass ihre Nierenentzündung rückläufig ist. Ich habe ihr gesagt, dass ich im Falle eines Querschnitts gerne ihren Rollstuhl schöbe, aber dass es mit dem Reiten endgültig vorbei sei. Wahrscheinlich fährt sie dann Sulky und geht unter die Traber. Ich weiß, das reimt sich auf makaber.

Mittwoch, 9. Juli 2008

Hauptsache man hat Eis

Heute war Abschlussfeier in der Lessing-Schule. Ein diesbezügliches Zettelchen war rasch im Haushalt verschwunden, präzise Infos gab es nicht mehr, ich wollte den Termin ignorieren. Unter der Woche ist für mich früher Abend schon später Abend. Dann fing Stella an zu nörgeln. Alle gehen hin. Morgen erzählen sie in der Klasse, wie toll es war. Ich hatte keine Lust. IMMER bin ich diejenige, welche ... Nun wollte sogar Clara mitgehen. Großzügig, wie ich bin, ließ ich die beiden dann alleine losziehen. Ich hatte nur ganz wenig schlechtes Gewissen und war einfach froh, meine Ruhe zu haben.
Nach fünf Minuten standen zwei ganz traurige Mädchen vor der Wohnungstür. Bei der zweiten Querstraße hatten sie sich nicht mehr weitergetraut. Also sind wir doch zu dritt los. Aber die Schule war zu, alles dunkel, alles verschlossen, Klingeln zwecklos, keine Elternautos vor dem Tor, keine Feier. Wieder traurige Mädchen. Wer aufhatte, war der Softeis-Mann auf der Waldstraße. Dort saßen wir schließlich, mit dem Schicksal versöhnt, und Clara meinte: Hauptsache man hat Eis.
Gretas achte Chemo hat am Montag angefangen, es gibt keine Komplikationen. Steffi hat allerdings eine leichte Nierenentzündung und steht unter Medikamenten. Dafür haben wir unseren Fuhrpark entscheidend vorangebracht. Ich hatte gestern unser TÜV-fälliges Mobil vor der Werkstatt abgestellt. Der Zustand war so, dass der freundliche Mechaniker mich gleich in der Mittagspause vom Verlag abholte, um mit mir das weitere Vorgehen zu erörtern. Das wird ungefähr sechzehn mal so teuer wie die Fahrradreparatur vom Vortag. Aber morgen ist es fertig. Auto heil und Fahrrad heil. Alles wird gut.

Sonntag, 6. Juli 2008

Wurzeln

Greta hat die Zahnbehandlung am Freitag unter Narkose gut überstanden. Wirklich dramatisch war es nicht, nur ein paar kleinere Löcher zu stopfen. Die wieder heilen Zähne beißen anscheinend besser zu, jedenfalls pflegt Greta inzwischen fast normale Nahrungsaufnahme. Sie ist auch weiterhin fröhlich und unternehmungslustig, war heute den halben Tag mit Steffi bei den Pferden. Die Haare sind bisher noch nicht wieder ausgefallen, was hoffentlich kein schlechtes Zeichen ist. Es könnte auch sein, dass die letzten Chemos in keiner Weise mehr anschlagen. Morgen, Montag, geht es weiter, mindestens in die Ambulanz, eventuell auch gleich zum achten Chemo-Block. Die Blutwerte waren die letzten Tage deutlich verbessert. Die Chancen steigen, dass Jena mindestens teilweise in die Schulferien und in Papas Jahresurlaub im August fallen wird.
Dem Vater geht es übrigens gut, danke der Nachfrage. Der war die Woche zum Seminar in München, wo er Manches gelernt und mehr gutes Bier getrunken hat. München ist ja eine Wohlfühlstadt. In München scheint immer die Sonne, außer wenn es regnet.
Am Samstag haben Stella und Clara das Urgroßelternhaus in Köthen kennen gelernt, wo Vetter Michael seinen 50. Geburtstag gefeiert hat. Die ganze Familie traf sich, Vetter Roland war gleich aus München mitgekommen. Die Großen waren begeistert, nicht nur, weil sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal mit vollem Bewusstsein Eisenbahn gefahren sind. Sie tauchten sofort im Schwarm der Kinder unter, haben zwei Stunden gebadet, jede mindestens fünf Stück Kuchen gefuttert und wollten gar nicht wieder weg. Kurzum, es muss für sie ungefähr so gewesen sein wie die nämlichen Familienfeste vor einem Drittel Jahrhundert für die damaligen Kinder. Der große Märchengarten vom Haus ist allerdings noch besser geworden.

Familienmitglieder bei Lieblingsbeschäftigungen

Quarkbällchen schmeckt wieder.

Schöne Frau mit Pferd

Clara und Nutellabrötchen



Paula und Stella auf dem Wellenspielplatz