Sonntag, 28. Juni 2009

Sommer vorbei

In Gretas Knochenmark ist die Produktion weißer Blutkörperchen (Myelopoese) aus dem Ruder gelaufen, Knochenmark und Blut sind überschwemmt von unreifen Leukozyten (Blasten). Ursächlich dafür sind wahrscheinlich die vorangegangenen Bestrahlungen und/oder Chemo-Medikamente wie Etoposid.
Nun wird versucht, die Produktion weißer Blutkörperchen in Remission zu bringen, d.h., ihren Anteil im Knochenmark auf unter 5 Prozent zu senken. Schon jetzt ist der größte Teil der Blasten zerstört, denn diese Gebilde sind fragil. Greta hat gestern besonders große Tabletten bekommen, die mit dafür sorgen sollen, dass die anfallenden Blastentrümmer aus dem Blut verschwinden.
Gestern wurde auch eine Lumbalpunktion vorgenommen, also Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) entnommen. Das war für Greta eine unangenehme Prozedur, die aber immerhin das Ergebnis brachte, dass die Tumorzellen noch nicht im Liquor angekommen waren. Dies erspart oder reduziert eine spätere Bestrahlung.
Bei einer Ersterkrankung könnte man die AMLeukämie allein mit Chemotherapie bekämpfen. Da wir deren Einsatz aber aufgrund von Gretas Vorgeschichte reduzieren müssen, ist die Knochenmarkstransplantation für einen Heilungserfolg unverzichtbar. Bedingung ist aber, dass die Remission vorher gelingt. Ansonsten unterscheidet sich das Behandlungsprotokoll gar nicht viel von jenem Protokoll, dass man bei Ersterkrankung vorsehen würde.
Demzufolge wird es zwei Chemo-Blöcke geben (im ersten sind wir mittendrin), die weit tiefere und längere Zelltiefs verursachen werden als in der letzten Therapie und Sterilpflege nötig machen. Das gilt erst recht für die dann im günstigen Falle folgende Knochenmarkstransplantation, die wieder in Jena oder einer ähnlich ausgestatteten Klinik vorgenommen wird. Die nächsten vier Monate wird Greta (lebend) höchstens tageweise aus dem Krankenhaus herauskommen.
Ihr Allgemeinzustand war bis zum Beginn der Chemo sehr gut. Als die Diagnose schon feststand, – ohne Behandlung tot in wenigen Wochen – spielte sie auf dem Klinikflur Fußball. Wir hoffen, dass ihre zähe Natur es auch diesmal schafft. Einen Krebs hat sie immerhin schon besiegt.
Wir sind dabei, uns neuerlich zu rüsten. Stella und Clara sind für die Sommerferien schon fast versorgt, eine neue Kinderbetreuung ist auch in Aussicht. Dringend brauchen wir wieder eine Haushaltshilfe.
Die Großen genießen überwiegend die neue doppelte Freiheit (höchstens ein Erziehungsberechtigter in der Nähe und Schulferien), heute Abend war Kirschkernparty angesagt. Die Zeugnisse waren ok. Stella ist gerade noch auf Gymnasialkurs. Clara werden solide Anlagen bescheinigt, ansonsten sei noch Luft nach oben.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Leukämie

Keine guten Nachrichten diesmal. Greta hat sich eine Akute Myeloische Leukämie (AML) zugezogen, die von der schweren Chemotherapie herrührt und zuvor schon als mögliche Nebenwirkung bekannt war. Die AML hat eine Heilungsprognose von ca. 80 Prozent – bei Ersterkrankung. Gretas Vorgeschichte reduziert diese Prognose deutlich. Die Kleine ist seit gestern wieder in der Klinik, hat einen neuen Katheter gelegt und die erste Dosis Medikamente verabreicht bekommen. Wenn die Chemo anschlägt, muss eine Knochenmarkstransplantation erfolgen. Der Spender wird zuerst in der Familie gesucht.
Greta ist eine tapfere Patientin und jedenfalls deutlich handlicher als vor anderthalb Jahren. Stella und Clara sind nur wenig beunruhigt und freuen sich in erster Linie, dass sie nach der Kur wieder zuhause sind und dass morgen die Sommerferien beginnen.
Sämtliche Urlaubspläne für dieses Jahr sind gestrichen. Die Party zu Gretas fünftem Geburtstag fällt aus. Sie muss ihn erst mal erreichen. Nun heißt es mehr als zuvor: Daumen drücken!

Samstag, 20. Juni 2009

Leipzig bekommt Flügel

Dienstag kommt die Familie hoffentlich wohlbehalten aus Bad Oexen zurück und wird dann endlich wieder die jetzt viel zu leere Wohnung in der Feuerbachstraße bevölkern. Am Montag gibt es noch eine große Abschiedsfeier – mit den verbliebenen Kurfamilien. Viele sind vorzeitig abgereist, aus den unterschiedlichsten Gründen. Oft waren die Kinder krank, manch Erwachsener hat aber auch den Lagerkoller bekommen. Da tut man den Leuten mal was Gutes ... Nächste Woche gibt’s schöne Bad-Oexen-Fotos zu sehen.
Stella und Clara haben danach gerade noch Neptunfest im Schwimmbad, Zeugnisvergabe und Sommerferien. Hoffentlich hat die schulische Moral in der Kur nicht weiteren Schaden genommen. Die neue Saison wird gleich mit der Suche nach weiterführenden Schulen beginnen. Wenn man erst mal 25 Jahre sein Abitur hat, darf man sich freuen – und in die Heimatstadt fahren, um dies zu feiern, wie ich es gleich tun werde. Leider musste ich mich vom Ehemaligen-Fußball abmelden, weil ich mir dann doch noch einen dicken Knöchel aus der Kur mitgebracht habe.
Und was macht der Leipziger Ballsport? Die HCL-Mädels sind Deutscher Meister. Nicht so die Fußballer. Der Zipsendorfer FC Meuselwitz hat die Lokomotive mit zehn Punkten hinter sich gelassen und steigt in die Regionalliga Nord auf. Dort gibt es keinen Leipziger Club mehr. Aber das wird sich bald ändern, denn nun kommt der Deus ex Machina: Red Bull möchte ein paar Millionen investieren und hat den Verein „Rasen Ball Leipzig“ gegründet. Mit der Spiellizenz vom Vorortclub SSV Markranstädt wollen sie in der fünften Liga anfangen und dann durchstarten in die erste Bundesliga. Endlich merkt mal jemand, dass die brach liegende Fußballszene einer deutschen Halbmillionen-Stadt eine echte Investition wert ist. Angeblich finden 70 Prozent der Leipziger den Deal gut. Jetzt fehlt nur noch Lothar Matthäus.

Dienstag, 9. Juni 2009

Späte Kurfreuden

Die Familie hat sehr kurzfristig beschlossen, die vierte Woche doch noch zu beantragen, was die Kasse sofort bewilligt hat. Ich fahre also übermorgen alleine nachhause. Wir alle sind erst nach zwei Wochen so richtig warm geworden.
Sämtliche Töchter sind inzwischen fast den ganzen Tag mit ihren kleinen Kolleginnen und Kollegen beschäftigt. Die Stars sind drei süße Italienermädchen fast gleichen Alters. Selbst Greta hat sich jetzt gut eingefügt, rennt den anderen hinterher und erscheint absolut kindergartentauglich.
Auch für die Erwachsenen haben sich schöne Kontakte ergeben, die vielleicht sogar langfristig tragen. Gestern bin ich mit einem echten Rom-Experten ins Gespräch gekommen, mit dem ich endlich auf Augenhöhe die näheren und ferneren Umstände der Varus-Schlacht diskutieren kann. Am liebsten hätte ich mir den Achtjährigen gleich geschnappt und wäre mit ihm nach Haltern gefahren, wo die dritte Ausstellung zum Varus-Jubiläum neben Detmold und Kalkriese stattfindet.
Es ist jetzt doch ein bisschen langweilig hier. Eine leichtfertige Fehlentscheidung war es, dem grandiosen Zauberberg das Halbblut aus der klinikeigenen Resterampe folgen zu lassen, welches Werk selbst harte Karl-May-Fans nur als flaues Spätprodukt einordnen können.
In Davos soll es ja vor hundert Jahren in solchen Instituten neben Liebesabenteuern und prallen philosophischen Unterweisungen auch noch gutes Essen gegeben haben. Hier ist es bessere Krankenhaus-Kost, und ich kann Geflügelsalami, Magerkäse und Mohrrübenspäne inzwischen nicht mehr sehen. In der Küche wird zweifellos mit spitzem Bleistift gerechnet. Trotzdem ist das Sparpotenzial in diesem Bereich des Gesundheitswesens immens. Im Grunde ist der ganze Kurbetrieb anachronistisch. Man glaubt gar nicht, dass der Laden privatwirtschaftlich organisiert ist. Wenn ich in zwanzig Jahren von meinem ersten Herzinfarkt genesen bin, kriege ich als Reha bestimmt nur noch drei Tage Power-Ressourcing bewilligt. Freuen wir uns, dass wir die späte Blüte des fürsorglichen Staates noch genießen dürfen.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Liebe Freunde

Wie geht es euch? Ich hoffe, gut. Mir geht's auch gut. Papa hat keine Zeit, weil er beim Fußball ist. Ich soll heute mal den Blog weiterschreiben. Stella hat mir gezeigt, wie das geht. Sie kann das, weil sie hier selber ganz viel Tagebuch schreibt.
Wir haben im Zimmer den Fernseher nicht angeschaltet. Stella findet das doof. Deswegen muss sie auch Sport machen. Das tut ihr gut. Stella und Mama zicken sich jetzt manchmal richtig an. Wahrscheinlich weil Stella schon fast so groß wie Mama ist.
Hier gibt es auch Jungs. Meine Schwestern stehen auf die beiden Johannesse. Die sind so intellektuell. Mein bester Freund ist Leon. Der ist ganz anders drauf. Der redet nicht lange, der haut dir gleich eine runter, wenn du nicht sein Freund bist. Echt cool! Die Mamis haben sich auch schon geprügelt wegen dem. Gestern bei der Kinderdisco ist eine Glasscheibe rausgeflogen, wo Leon daneben stand. Er lädt mich jetzt immer auf seine Überraschungsparties ein. Da sind wir dann zu zweit, und er zieht die Hose runter. Immer so lustige Ideen!
Viele Kinder hier sind krank. Die können nicht laufen oder nicht richtig gucken. Ein großes Mädchen hat ein Bein aus Plastik. Aber die ist ziemlich gut drauf. Papa hat neulich gesagt: Danke, Greta, dass du für uns diesen schönen Urlaub gezogen hast. Wenn der wüsste. Papa spinnt sowieso. Der läuft nur noch verschwitzt rum und sagt, die Turnhalle ist der schönste Ort auf Erden. Ein anderer Papa hat sich gestern beim Fußball das Bein gebrochen, der muss jetzt zwei Monate im Gips rumlaufen. Die anderen wollen am Montag weiterspielen.
Ich finde das Schwimmen am besten. Ich kann das schon richtig gut. Das Wasser ist schön warm. Ich geh auch in den Kindergarten. Da sind andere Kinder und ein Clown. Mein liebstes Spiel ist Snoezeln. Da sitzt du im Bällchenbad und musst Sachen rausfischen. Hoffentlich gibts in Leipzig auch einen Kindergarten.
Ich muss jetzt Schluss machen. Leon kommt gerade. Er sagt, er hat eine Überraschung für mich - und Streichhölzer, das wird cool!
Viele Grüße,
eure Greta