Sonntag, 25. Oktober 2009

KMT geglückt


Großes Aufatmen in der Schmal-Lenger-Schmal-Familie, denn die Knochenmarkstransplantation wurde am Freitagabend planmäßig vollzogen. Das 24-Stunden-Zeitfenster wurde fast voll ausgereizt, das Bereitschaftsfahrzeug musste hinter Frankfurt tatsächlich mit Blaulicht an dem dicken Wochenendstau vorbeiziehen.
Die Transplantation habe ich selbst gar nicht mehr mitbekommen, denn Greta schickte mich überraschend gegen sieben nachhause („Ich will schlafen, tschüss Papa!“), was ich dankbar annahm. Der Akt der Vergabe war auch nicht weiter spektakulär, ca. 0,2 Liter Flüssigkeit, die langsam durch den Tropf geschickt wurden. Ursprünglich haben sie dem Spender über einen Liter aus seinen Röhrenknochen gezogen, wahrscheinlich aus beiden Oberschenkel-Schaufeln, wahrscheinlich mehrmals hintereinander. Mit Voruntersuchungen und Nachbehandlung bedeutet das mehrere Tage Krankenhaus. Sollte ich jemals an dem Spender gezweifelt haben, muss ich ihm nun Abbitte leisten.
Wir waren und sind ja alle von einer naiven USA-Freundlichkeit, gespeist von Reisen, von Shanon oder dem Vetter, oder auch nur von Mel Zandok und Alte Ami Rick DeLisle. Das lassen wir uns nun erst recht nicht mehr nehmen.
Aber auch dem Volk der Kaninchen gebührt Ehre. Man hat Blutbestandteile von Gretas Spender schon vor Wochen einem Kaninchen injiziert, dessen Blut Antikörper produziert hat, so genannte AT-Globuline. Diese ATGs sind Greta verabreicht worden und sorgen in ihr nun dafür, dass die große Minderheit von ausdifferenzierten Lymphozyten des Spenders, also jenen weißen Blutkörperchen, die schon über das volle individuelle „Gedächtnis“ verfügen, blockiert werden, damit sie jetzt in Greta nicht alles auffressen, was ihnen fremd vorkommt. Wir brauchen ja nur die Baby-Blutzellen, die erst im Knochenmark jene Imunzellen ausbilden, die sich dann unter gretaspezifischen Bedingungen neu differenzieren.
Bis diese neuen Leukozyten in Gretas Blut nachweisbar sind, werden mindestens zwei Wochen vergehen, bis dahin ist Gretas Abwehrsystem nahe null, und sie ist sehr anfällig, vor allem für Pilz- und Viren-Befall, dem man mit Antibiotika nicht Herr wird. Wir müssen also noch eine gefährliche Zeit überstehen, aber es kann gut sein, dass wir Weihnachten alle zuhause sind.
Greta merkt von alledem nicht wirklich viel. Nachdem sie Freitag ziemlich in den Seilen hing, war sie gestern und heute ohne nennenswerte Beschwerden, nur etwas schlapp und schlafbedürftig. Die Geburtstagsgeschenke hat sie immer noch nicht alle bekommen, der gestrige Renner neben dem Krankenwagen war „Herr Hase und Frau Bär“, das ich ihr mindestens fünf mal vorlesen musste.

Montag, 19. Oktober 2009

Danke für die vielen Geschenke

Greta geht es den Umständen entsprechend gut. Die Blutwerte gehen nur langsam in den Keller, schmerzhafte Nebenwirkungen bleiben bislang aus. Wahrscheinlich ist diese Chemo schon vergleichsweise schwach dosiert. Jedenfalls hat das Kind gestern seinen Geburtstag wohlgemut verlebt, im Isolierzimmer Badminton gespielt und mindestens vier hartgekochte Eier gegessen.
Greta begeht diesen fünften Geburtstag mehrfach, so ähnlich wie Kater Findus. Zumindest dosieren wir die Geschenke. Das ist übrigens ein alter Trick der Schwestern, die schon wissen, wie sie ihre kleinen Patienten dauerhaft bei Laune halten. Der Renner des Sonntags war das aufziehbare Blechkrokodil, das kieferschnappend durchs Zimmer scheppert – ein echter Klassiker. Greta hat es sofort für komplizierte Rollenspiele vereinnahmt. Mama feiert heute natürlich auch noch mal Geburtstag mit ihr, am Mittwoch kommt Knuddel, der Klinik-Clown – und am Freitag, so würden jetzt die Ärzte hinzufügen, folgt ihr eigentlicher Geburtstag mit dem neuen Knochenmark.
Das Haltbarkeitszeitfenster des gekühlten KM-Präparats beträgt 24 Stunden. In dieser Zeit muss es von der Klinik in L.A. nach Jena gekommen sein und dort auch noch behandelt werden. Die roten Blutkörperchen gehören ausgesondert, denn sie haben nicht dieselbe Blutgruppe wie Greta. Das würde am Anfang Probleme machen, weil sich Gretas Rest-Abwehr dann gleich auf die fremden Hämoglobine stürzen würde. Später wird Greta die Blutgruppe des Spenders annehmen. Es ist also viel zu tun in 24 Stunden, aber die Profis werden das schon machen. Der Außenstehende wundert sich ja genauso, wie es gelingen kann, dass viele Tausende von Büchern in wenigen Wochen fehlerfrei gedruckt und gebunden werden, und trotzdem klappt auch dies fast immer.
Wir haben im McDonalds-Haus jetzt die Präsidenten-Suite mit Balkon, wahrscheinlich ist das der Stammkunden-Bonus. Die Kinderklinik soll demnächst umziehen, nach Jena-Lobeda. Kennt ihr das? Wenn man in Jena von der Autobahn falsch abfährt, landet man in einem scheußlichen Plattenbau-Viertel, aus dem man ohne Polizei gar nicht mehr herausfindet. Das ist Lobeda. Wir hoffen sehr, dass wir beim nächsten Mal die neuen Kapazitäten in Leipzig nutzen können, wo sie seit Jahren eine KMT-Station aufbauen wollen. Um den Aufenthalt im McDonald-Haus wäre es allerdings schade. Nirgendwo schlafe ich so gut wie dort. Und morgens macht einen die eiskalte Gratis-Cola wach.

Samstag, 17. Oktober 2009

Regen in Jena

Seit gestern Nacht läuft die Chemotherapie. Nun gibt es kein Zurück mehr. Doch, theoretisch schon: Wenn die KMT völlig floppt, könnten die Ärzte immer noch entscheiden, ob sie eine Elterntransplantation machen oder ob sie Greta erst mal ihre eigenen Stammzellen geben, denn sie hat noch ein Guthaben aus dem letzten Jahr auf Eis. Man darf also gespannt sein, was nach dem 22.10. geschieht. Die Spende wird in Los Angeles entnommen, das sind zehn Stunden reine Flugzeit nach Frankfurt. Eingefroren wird das Präparat deshalb nicht, weil dadurch der größere Teil der Zellen stirbt. Das Blut muss frisch auf den Tisch. Ein Arzt aus Jena hängt eine Woche Urlaub an die Dienstreise und holt das Zeug persönlich aus L.A. ab. Vom Frankfurter Flughafen aus geht’s wahrscheinlich mit Tatü Tata direkt nach Jena. Greta wird das super finden! Gestern war sie allerdings ausgesprochen schlecht gelaunt, sagt Steffi, verflucht ihr Schicksal und die Krankenschwestern.
Sie ist gründlich durchgecheckt worden die letzten Tage. Lumbalpunktion und Knochenmarksentnahme blieben ohne Befund. Leber- und Nierenwerte sind nicht mehr optimal, aber anscheinend ausreichend für die anstehende Ross-Kur.
Stella und Clara sind gestern Mittag aus Rochlitz gekommen und waren sehr begeistert. Die Psychologen haben Spiele mit den Kindern gemacht, z.B. gemeinsam Märchen erzählt: Eines fängt an, sagt dann „schnipp“, und ein anderes muss die Story an der Stelle fortsetzen. Theater gespielt wurde auch. Clara war die Prinzessin, für sie das Highlight der ganzen Ferienwoche. Sie hat dem Betreuer gleich einen glühenden Liebesbrief geschrieben.
Von Stella habe ich nicht viel mitbekommen. Zeitgleich mit ihrer Ankunft stand schon der nächste Programmpunkt vor der Tür. Sie konnte gerade noch ein paar Klamotten von einem Koffer in den anderen werfen. Nun verbringt sie eine Woche bei einer Freundinnen-Oma irgendwo weit weg im wendischen Bergland.
Dafür habe ich jetzt Clara mal für mich. Wir haben einen sehr schönen Abend mit unserem Lieblingsspiel und besonders langem Vorlesen verbracht. Heute fährt sie mit nach Jena, die vierte Zugfahrt ihres Lebens, sagt sie. Mit Mama geht’s dann gleich wieder zurück. Greta wird sie wohl nicht sehen, durch Glas wäre das für beide eher traurig. Morgen vollendet Greta ihr fünftes Lebensjahr, das haben wir immerhin geschafft.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Letztes freies Wochenende?

Dienstag fährt Greta mit Steffi nach Jena und bleibt dort, wenn diesmal alles planmäßig geht. Das Kind ist in bester Verfassung. Wenn nun nichts mehr dazwischen kommt, dürfen wir sehr optimistisch sein. Der Rest ist Fleißleistung. Bis Weihnachten werden wir es wohl geschafft haben, mit Glück auch etwas früher. Ich habe mir für Jena Die Nebel von Avalon bereitgelegt.
Das letzte freie Wochenende haben wir angemessen erholsam verbracht, waren Samstag sogar zu fünft bei Freunden. Die (großen) Schwestern haben gestritten, dass die Fetzen flogen. Aber das gehört dazu. Sie hocken halt sehr eng aufeinander jetzt, zumal die Hinterhofszene als individueller Rückzugsraum weitgehend dem Herbstwetter Tribut zollt.
Stella hat die zweite Vier in Mathe eingefahren. Vielleicht muss ich sie nun motivieren, wie es einst mein Großvater tat, jener, der heute ungefähr 160 Jahre alt wäre. Er wurde einst in die Schule zitiert, weil Lehrer und Mit-Eltern an seinem Bonussystem Anstoß nahmen. Als nämlich die Leistungen seiner Tochter, meiner seligen Tante Gerda, völlig hoffnungslos geworden waren, hatte Opa Karl ihr für jede geschriebene Fünf eine Prämie von fünf Pfennigen ausgesetzt. Sein Sohn, Tante Gerdas Bruder Hanns, wurde später übrigens ein Lehrer und Schulleiter, der sich mit Humor und ungewöhnlichen Methoden viel Respekt und Sympathie bei Schülern wie Eltern verschaffte.
Stella sagt jetzt immerhin selbst, dass sie lernen und aufs Gymnasium will. Das sagt sich freilich leicht, wenn gerade die Herbstferien begonnen haben. Stella und Clara werden morgen wieder für ein paar Tage auf Geschwisterfreizeit von der Elternhilfe krebskranker Kinder fahren (Motto: „Jetzt bin ICH dran“), nach Rochlitz, ca. 30 km in Richtung Chemnitz.
Ihr fragt nach Clara, weil ich sie so selten erwähne. Ich glaube, es geht ihr gut. Zumindest ist sie die Unauffälligste und Vergnügteste von allen. Sie ist sozusagen die Hannah aus „Hannah und ihre Schwestern“. Soziales Umfeld stabil, zur Zeit bevorzugt Amelie, Franziska und Lea. Soll ich euch mit Noten langweilen? Mathe 1-2, Deutsch 2-3, alles im grünen Bereich. Bei Café International hat sie ein bemerkenswert gutes Auge. Neuerdings geht sie in eine Tischtennis-AG, was ich natürlich sehr begrüße. Hoffentlich ist sie damit etwas stetiger als Stella, die sich zuletzt beim Handball meistens krank gemeldet hat. Ist schon kurios, dass meine Töchter sich ausgerechnet diese Sportarten gewählt haben. Demzufolge müsste Greta eine Fußballerin werden. Man hat als Vater doch mehr Einfluss, als man manchmal meint.
Wir sind gut über den Sommer gekommen, alles in allem. Zum Glück gibt es im Rosental beim Fußball jetzt keine fiesen Zirbelmücken mehr. Und ich habe jetzt einen Stützstrumpf, der meinen rechten Haxen zuverlässig am Umknicken hindert. Prima Erfindung und rekordverdächtiges Wort. Zehn Konsonanten in zwei Silben, der Horror für jeden Nichtmuttersprachler. Das Tolle an uns Deutschen ist, dass wir immer einen guten Torwart haben und „Stützstrumpf“ sagen können.

Bilder vom frühen Herbst

Steffi meint, mit Bildern ist der Blog viel interessanter. Recht hat sie. Warum es so lange keine Bilder hier gegeben hat? Seit drei Monaten gibt es bei uns nur noch digitale Fotos, und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich gelernt habe, wie man diese netzfähig herunterrechnet. Mit dem Scanner war alles so einfach.


Erdmännchen sind prima.


Yes I can !


Tanzen im Flur.


Der Herbst hält manches Vergnügen bereit.


Rooney ist schon ganz schön groß.


Mit den Schwestern kuscheln hält Herz und Seele warm.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Warteschleife

Am letzten Mittwoch hätten wir in Jena auflaufen sollen. Am Montag rief Steffi dort an, um Details zu klären, und wurde darüber informiert, dass sich die Planungen wieder geändert hätten. Verzögerungen beim Spender, was auch immer. Neuer Termin: KMT am 23.10., die Konditionierung eine Woche vorher. Die neuerliche Verschiebung hat bei uns kurzzeitig Ärger, Frust und Angst ausgelöst. Nach klärenden Gesprächen mit den Verantwortlichen (solches einzufordern ist sonst nicht unser Stil) läuft die Kommunikation jetzt wesentlich besser, und wir haben wieder das Gefühl, dass die Prioritäten klar sind.
Aus medizinischer Sicht ist die neuerliche Verzögerung der KMT um zwei Wochen ziemlich unerheblich. Mit einer schwach dosierten Tabletten-Chemo kann das Risiko einer neu aufbrechenden Leukämie eine ganze Weile in Schach gehalten werden. Sollte der amerikanische Spender wiederum und ganz zurückziehen, würde der zweitbeste Spender aktiviert. Mehrere Spender gleichzeitig zu berufen ist leider verboten. Auch nicht möglich (oder erlaubt?) ist die Speicherung des Spendermaterials. Es muss also klappen, dass ein nicht kurzfristig beeinträchtigter Patient eine Woche nach der Intensiv-Chemo (oder geringfügig später) von einem ebenfalls durchgecheckten, akut gesunden und willigen Spender innerhalb von 24 Stunden das Material bekommt, welches in unserem Falle auch noch aus den USA überführt werden muss. Das Verfahren ist naturgemäß störungsanfällig.
Die Nerven der Eltern sind das eine, für Greta ist diese Ruhepause vielleicht von Vorteil und erhöht die Erfolgschancen der KMT. Es geht ihr gut. Sie ist zuhause, lebhaft mit ihren Schwestern zugange – und fährt seit vorgestern alleine Fahrrad. Zum Glück produziert sie wieder eigene Thrombozyten, und auch die Leukozyten stehen mit 2,2 ppm sehr solide da.
Nun müssen wir unsere Betreuung neu organisieren. Seit Mitte September werden wir permanent zuhause entlastet, gerade sind die Schwiegereltern da (was man sofort daran merkt, dass die Wohnungstür wieder lautlos schließt). Aber Jena steht ja nun erst an. Vorteilig ist, dass ich ab nächsten Mittwoch deutlich weniger Dienstreisen vor mir habe und überwiegend freie Wochenenden.
Wir kriegen das hin. Wir sind gerade dabei, uns langfristig mit der Situation abzufinden. Greta kann überleben, aber vom Hirnschlag oder ähnlichem getroffen werden, dann bleibt die familiäre Herausforderung lebenslang gegeben. Wir tun also gut daran, gar nicht mehr über die aktuelle Situation hinaus zu denken, sondern uns einzurichten. Das ist ganz lehrreich. Man ist ständig gezwungen, das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren, nur noch das Wichtige zu tun.